Hier möchte ich Euch von meinem derzeitigen Hauptproblem erzählen: Dem Kribbeln. Das Kribbeln ist seit Anfang des Jahres mein ständiger Begleiter und größter Sorgenpunkt, da es mich nervt, mich verunsichert und einfach nicht weggehen will.
Das erste Kribbeln
Das erste Mal kam das
Kribbeln im frühen Sommer 2010. Ich hatte grad meinen Uni-Anschluss in der
Tasche und war für meinen neuen Job in die Hauptstadt gezogen. Alles war super.
Bis dann einen Tag auf Arbeit plötzlich mein linker kleiner und der Ringfinger
zu kribbeln begannen. Nur ganz leicht, wie kurz bevor sie einschlafen. Nun gut,
ich hatte schon immer mal Probleme mit meinem Nacken und das kommt bestimmt von
der neuen ungewohnten Arbeit am Schreibtisch. Nachdem das Kribbeln aber nach 2
Wochen immer noch nicht wegging, begab ich mich schließlich zum Orthopäden, da
scheint sich wohl etwas verrenkt zu haben, dachte ich. Doch dieser konnte
partout nicht finden und überwies mich an einen Neurologen. Evtl. eine
Nervenstörung, vermutete er.
Also ich zum Neurologen,
der einige Tests mit mir durchführte. Unter anderem auch echt unangenehme
Messungen, die den Einsatz von Strom erforderten. Resultat: Nichts zu erkennen.
Ich sollte lieber mal ein Schädel-MRT machen lassen, um auszuschließen, ob es
sich dabei eventuell um Läsionen im Gehirn handeln könnte, was er aber
eigentlich ausschloss. Aber zur Sicherheit.
Ich dann also zum MRT,
was ich aufgrund meiner Platzangst aber nur unter Beruhigungsmitteln
durchstand, welche so reinhauten, dass ich im Wartezimmer erst mal in Ohnmacht
fiel und das MRT ohne weitere Angstzustände im Halbdelirium durchgeführt werden
konnte. Ergebnis: Nichts zu sehen. Das Kribbeln war dann auch einfach wieder
weg, so plötzlich wie es kam.
2011: Das Kribbeln kommt zurück
Ich machte mir keine
weiteren Gedanken, bis einen Tag nach Weihnachten im Jahr 2011 das Kribbeln
wiederkam. Ich hatte mittlerweile schon einen neuen, tollen Job in meiner
Lieblingsstadt und führte eine frisch verliebte Fernbeziehung. Wieder dieselbe
Stelle an der linken Hand und zusätzlich der linke Fuß, eine kleine Stelle
unter der Sohle. Auch meine Zungenspitze fühlte sich merkwürdig an, so als sei
eine kleine Stelle vorne ständig verbrannt oder so. Ich merkte es eigentlich
nur in der Ruhe. Sobald ich meiner Hand/Fuß etwas zu tun gab oder anderweitig
abgelenkt war, war auch das Kribbeln verschwunden.
Das Kribbeln steigerte
sich jedoch in der nächsten Woche zeitweise zu einem Brennen, was mir doch
weiter Sorgen machte. So konsultierte ich natürlich in meiner Ratlosigkeit Dr.
Google. Und was kam dabei heraus, natürlich das Schlimmste vom Schlimmen:
Multiple Sklerose! Daraufhin bin ich natürlich gleich zum Neurologen und
erzählte ihm mein Leid und zeigte ihm die alten MRT-Aufnahmen. Er machte eine
Reihe Tests mit mir und meinte, MS könne er ausschließen, das würde ganz andere
Probleme machen. Das Kribbeln würde eher von meiner Angst kommen. Das beruhigte
mich aber nicht wirklich, so dass ich ein paar Tage später panikattackenmäßig
wieder bei meinem Hausarzt aufkreuzte, der mich schließlich zur stationären
Abklärung an eine Klinik überwies, wo sie auf so etwas spezialisiert waren.
Der stationäre Checkup
So, nun war ich also
eine Woche lang im Krankenhaus und es wurden alle, wirklich alle Untersuchungen
mit mir gemacht, um dem Kribbeln auf die Spur zu kommen. Ein erneutes MRT
zeigte nicht, obwohl die Schwester meinte, es sei eventuell eine ganz kleine
Stelle, die sei aber so winzig und somit bedeutungslos. Meine Nerven wurden
vermessen, die Augen und Sehnerven kontrolliert und sogar Liquor aus dem
Rückenmark entnommen, was mir wahnsinnige Kopfschmerzen brachte. Ergebnis:
Alles bestens. Man geht davon aus, es sei eine funktionelle Störung und
schickte mich mit Lyrica-Tabletten nach Hause. Die sollten meine Angst ein wenig
dämpfen.
„Sie haben nichts“
Scheinbar war ich nun
etwas beruhigter, denn auch mein Kribbeln war weg. Doch, wie sollte es anders
sein, es kam wieder. Wieder linke Hand und Fuß doch diesmal begann auch die
rechte Seite. Es kribbelte mal mehr, mal weniger, mal nur links, mal nur
rechts, mal überall. Dazu die Zunge und ich meinte, ich könnte auch auf einem
Auge schlechter sehen. Was aber eigentlich gar nicht war. Es fühlte sich nur so
an. Ich also nochmal zum Neurologen aber vorher noch die Papiere aus der Klinik
abholen, schließlich brauchte er ja die Werte und die MRT-Aufnahmen.
Der Arztbrief und die oligoklonalen Banden
Da machte ich dann den
großen Fehler, den Brief zu öffnen und die Unterlagen anzusehen. War ja eh
alles gut, was sollte da schon schockierendes drinstehen. Doch da stand es auf
einmal: Einige positive oligoklonale Banden im Liquor nachweisbar. Den Begriff
kannte ich von Dr. Google nur zu gut und er war ein Zeichen für
Entzündungsprozesse im Gehirn und konnte bei so einigen MS-Patienten gefunden
werden. In der Abschlussdiagnose stand aber glücklicherweise trotzdem nichts
von einem Verdacht auf MS. Nur die funktionelle Nervenstörung. Und dass bei
normalem klinischen Befund der Verdacht auf einen entzündlichen Vorgang im Hirn
sich nicht bestätigen lassen würde. Man aber aufgrund des positiven
Liquorbefund, eine leichte Entzündung trotzdem nicht 100% ausgeschlossen werden
könnte, da sich diese dem MRT-Beweis auch entziehen könnte. Schließlich sieht
so ein MRT ja auch nicht alles. Für mich brach eine Welt zusammen. Man sagte
mir doch, es sei alles in bester Ordnung. Und jetzt lese ich das hier. Ich also
wieder zurück zum Krankenhaus und den behandelnden Arzt zur Rede gestellt. Der
meinte, diese oligoklonalen Banden seien sehr unspezifisch und können auch von
früheren Krankheiten kommen. Es sind ja auch nur sehr wenige und die würden
daher gar nichts aussagen. Jedoch, fügte er hinzu, müsse er mir leider sagen,
dass es trotzdem sein kann, mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen 5-20%, dass
man eventuell in den nächsten 5-10 Jahren diese Diagnose, also MS, stellen
könnte. Damit ließ er mich dann sitzen und schwirrte ab. Naja, gut, dass ich am
nächsten Tag gleich den Termin beim Neurologen hatte.
Dieser konnte mich dann
auch erst mal beruhigen und meinte, der Arzt habe völlig Recht: Mein
Liquorbefund sei viel zu unspezifisch. Schließlich habe ich ja außer dem
Kribbeln keine weiteren Beschwerden und alles andere war ja auch gut. Ich
könnte im Herbst nochmal ein MRT machen lassen. Er halte das aber nicht für
notwendig, das wäre nur zu meiner eigenen Beruhigung.
„Sie haben wirklich nichts“
Beruhigung war gut. Mein
Kribbeln steigerte sich in den nächsten Tagen ins unermessliche. Gerade am
Wochenende war es so schlimm, dass ich montags verheult und voller Panik wieder
bei meinem Hausarzt auftauchte. Auch der beruhigte mich und kontrollierte
nochmals meine Daten. Auch er versicherte mir, dass meine Symptome keine MS
wären, sondern psychischen Ursprungs. Vielleicht hatte er sogar Recht. Das
Kribbeln wurde schließlich immer schlimmer, wenn ich mich darauf konzentrierte
und wurde besser, wenn ein Arzt Entwarnung gab. Er überwies mich weiter an eine
psychiatrische Notfallsprechstunde. Ich sollte mir überlegen, eine Therapie zu
machen, damit ich meine Angst in den Griff bekomme.
Also doch psychisch?
Ich muss sagen, allein
schon der Schritt, diese Sprechstunde aufzusuchen, war ein guter. Alle waren
hier sehr nett und zogen nochmals einen Neurologen dazu, der mir alles genau
erklärte und auch nochmal betonte, dass mir mein Körper diese MS-Symptome auch
nur vorgaukeln kann. Wenn ich aber Angst hätte, sollte ich mich an einen
Spezialisten wenden, der mir das auch nochmal erklären könnte. Außerdem legte
man mir hier auch ans Herz, mich mal an ein Psychotherapiezentrum zu richten,
die sich auf somatische Störungen spezialisieren. Nur so würde ich es schaffen,
die Symptome loszuwerden. Außerdem sollte ich doch mal versuchen, mein Kribbeln
zu personifizieren, mit ihm zu reden oder drüber zu schreiben. So entstand dann
auch dieses Blog. Hier werde ich versuchen immer mal von meinen Ängsten und
Kribbelattacken zu berichten.
Ach ja, ich war ja dann
auch noch bei dem MS-Spezialisten. Der war sehr nett und hörte mir aufmerksam
zu. Und auch er versicherte mir, dass meine Symptome nicht damit zu tun hätten.
Alle körperlichen Funktionen seien bestens in Ordnung und eine MS vergeht nicht
auch von Tag zu Tag, wenn die Entzündung erst mal da ist, dann merkt man sie
auch. Die geht nicht weg und kommt dann mal wieder.
Wie geht es weiter?
So, das ist also die
Geschichte meines Kribbelns. Jetzt im Sommer war ich lange Zeit kribbelfrei.
Komischerweise genau in der Zeit, in der ich nicht ständig zwischen meiner
Heimat und der meines Freundes hin- und herfahren musste. Er hatte daheim viel
zu tun. Vielleicht ist es ja wirklich auch dieser Stress, der das Kribbeln
verursacht. Ich weiß es nicht. Vielleicht hilft mir ja dieses Tagebuch dabei,
dem ganzen auf den Grund zu gehen. Ich werde davon berichten. Es bleibt
spannend.
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